Integration oder Repression

Heilung bedeutet, das Gegenteil von dem zu erleben, was den Schmerz ausgelöst hat.

Den Schmerz zu unterdrücken oder aushalten zu lernen ist nicht heilsam.

Die Prinzipien von Integration und Repression sind gegensätzlich - das eine bringt zusammen, das andere verstärkt die Abspaltung.
Und doch gehen sie Hand in Hand.

Als ich in stationärer Behandlung war und zunehmend in Ausnahmezustände geriet, versuchte man es erst mit Gesprächen. Doch sobald es sich weiderholte, dass ich genauso ausflippte wie vorher, solbald jemand den Raum verließ, auch wenn ich im Gespräch ruhig war, hörte es auf, dass jemand nach mir sah. Einmal pro Stunde kam vielleicht noch ein Pfleger und raunzte mich an, ich sollte doch endlich aufhören zu schreien.

Sie mussten entweder vollkommen überfordert gewesen sein oder ernsthaft denken, dass ich mich freiwillig so verhielt. Was ich erlebte, war totale Isolation in mir, einen Körper im Ausnahmezustand plus andere Dinge, die sich später herausstellten. Ja, ich war ruhig, wenn jemand da war, aber nur solange die Person da war. Weil ich während dessen schon spürte, wie sie mich verbessern, verändern, therapieren wollen, konnte mich in dem Moment zwar über die Anwesenheit der anderen Person beruhigen, es half mir aber nicht für eine bessere Regulation in mir.

An einem Abend war es anders. Ich war wieder außer mir und hatte mir schon eine Bedarfsmedikation zum Schlafen geholt und eine halbe Tablette genommen. Ich dachte nicht, dass das reichen würde. Doch dann kamen zwei Nachtschwestern zu mir und redeten wirklich liebevoll mit mir. Sie sprachen mir Mut zu, dass ich es schaffen würde, mich zu beruhigen.

Sie blieben einfach an meinem Bett stehen, als hätten sie nichts anderes zu tun. Mit Geduld und Wärme. Eine der Schwestern legte mir eine Hand auf die Hüfte über meiner Bettdecke, während ich da lag und versuchte nicht weiter durchzudrehen. Diese Berührung habe ich bis heute nicht vergessen. Sie hat mir signalisiert, für einen Moment, dass ich in Ordnung bin. Dass jemand da ist mit mir, wie ich gerade bin, und nicht um mich zu verbessern.

Ich habe diese Erfahrung noch manches Mal gemacht, seltene Inseln in einem Meer aus Horror. Es ist nicht leicht, das anzubieten, das gebe ich zu. Und doch bin ich der Meinung, dass alles andere Makulatur ist. Management, Selbstoptimierung - das was uns eigentlich krank gemacht hat.

Unseren Schmerz zu managen. Das haben wir gelernt. Ihn runterzuschlucken und fortan von links nach rechts zu organisieren. Gut darin auszusehen, ihn in Ehrgeiz umzuwandeln, bestenfalls, oder auch einfach nur um ihn herum zu schleichen, ihn zu entschärfen. Wie jemand, der mit viel zu schweren Gewichten an Armen und Beinen herum läuft und sich noch einredet, das sei am Ende doch gut für den Muskelaufbau und überhaupt es ginge wäre gar nicht so schlimm.

Leider gilt für die schulmedizinische Psychiatrie, dass sie hauptsächlich auf Basis des unterdrückenden/repressiven Pradigma operiert. Verhaltenstherapie ist hauptsächlich eine Therapie, in der man lernt, sich selbst besser im Griff zu haben. Das kann hilfreich sein, wenn man sich und seine Verhaltensweisen besser versteht und zu lenken lernt. Daraufhin können neue Erfahrungen gemacht werden, sie heilsam sein können. Vielleicht ist es auch die Beziehung zum Therapeuten, wenn dieser freundlich und mitfühlend ist.

Mit Medikamenten ist es dasselbe. Sie unterdrücken und übertünchen das biochemische Umgleichgewicht im Gehirn - bestenfalls. Auch das kann nützlich sein, zum Beispiel, wenn die Zustände ohne Medikamente nicht mehr erträglich sind. Doch sie beheben nicht die eigentlichen Urachen dafür, dass der Körper in einem solchen Ungleichgewicht ist.

Heilung bedeutet, den alten Schmerz zu befreien und in einem mit Anteinahme gehaltenen Raum bewusst zu fühlen. Wer kennt das nicht, wie viel leichter man sich fühlt, wenn man mal weinen konnte? Ich habe es leider selbst in der tiefenpsychologischen Therpie so erlebt, dass ich nicht fühlen durfte. Sobald ich von meinen Gefühlen zu sprechen begann, wurde mir gesagt, ich würde jetzt zu instabil und man müsse die Stunde dann abbrechen.

Ich benenne diese unterschiedlichen Mechanismen hier, weil es mich eine Zeitlang verwirrt hat. Tatsächlich waren die Aufenthalte in zwei Klinken für mich eher retraumatisierend als alles andere. Weil ich letztlich immer wieder abgelehnt wurde, mich zusammenreißen sollte, gemanaged wurde bis man mich quasi rausgeschmissen hat. Weil ich mich nicht habe managen lassen. Schon damals wusste ich, dass es etwas anderes gab, hatte es erlebt, und das hat mich gerettet.

Deren Inkompetenz war extrem schmerzhaft, weil ich nirgendow anders hin konnte. Aber ich wusste, es liegt nicht an mir. Es gibt Räume von bedingungeslosem Mitgefühl, von Menschen, die da bleiben können. Dem Himmel sei dank habe ich diese Räume gefunden. Unter anderem, weil ich wusste, wonach ich suche.

Ich finde es sehr wichtig, sich nicht bloß auf die repressive Logik zu verlassen, wenn dein Gefühl dir sagt, dass das nicht dein Weg ist. Es ist vollkommen legeitim, nur diesen Weg gehen zu wollen, vielen hilft er auch. Doch wenn dein Herz sagt, dass dir das nicht hilft und dass du noch etwas anderes brauchst, dann hoffe ich dir vielleicht eine Idee gegeben zu haben, was das sein könnte. Mehr dazu mit konkreten Tipps findest du auf den weiteren Seiten.

Like really?

Für diejenigen, die das auf einer rationalen Erklärungsebene ausgeführt haben möchten, hier meine Gedanken dazu:

Unser Gehirn und Nervensystem ist so aufgebaut, dass unser rationales Denken steuert - es ist die Krönung der Schöpfung, das sich zuletzt entwickelnde System. Daher denken viele, es sei immer und ewig überlegen und rein durch Denken seien alle Probleme zu lösen.

Dem ist nicht so. Denn der emotionale Teil unseres Gehirns, den wir auch mit anderen Säugetieren teilen, hat nämlich die Macht, das rationale Denken auszuschalten, wenn es das für nötig hält. Ich denke ich muss hier keine Beispiele für diesen Vorgang aufführen.

Dann jedoch gibt es ein noch älteres System, das liebenswerterweise auch das Reptiliengehirn genannt wird. Dieses wiederum steuert Grundfunktionen des Stoffwechsels und reflexartige Reaktionen.

Wenn ein Gegenstand auf uns zufliegt, dann haben wir weder die Zeit, darüber nachzudenken, was passieren würde wenn dies oder das, noch die Zeit, eine emotionale Reaktion darauf zu entwickeln. Wir springen zur Seite, bevor wir begreifen, was eigentlich passiert ist.

Da Traumata in bedrohlichen Situaitonen entstehen, haben sie immer mit der subjektiven Wahrnehmung von Gefahr zu tun, die in dem unmittelbaren Moment nicht verarbeitet werden konnte. Das heißt, dass unverarbeitete schmerzhafte Emotionen und Körperreaktionen, die die Grundlage für einschränkende psychische Prozesse sind, im Alltag wieder ausgelöst werden, damit sie aus dem Gedächtnis befreit werden können - über das bewusste Fühlen der Emotionen und die Wahrnehmung der Körperreationen.

Das wiederum bedeutet, dass eine emotionale Irritation im Alltag, die nicht zur Situation passt, da sie aus der Vergangenheit stammt, Gefahr signalisiert. Das heißt auch, dass hierbei ebenso wie bei einer aktuellen Gefahrensituation die emotionale bzw. insitnktive Reaktion das rationale Denken ausschaltet. Jetzt können wir entweder kramfhaft versuchen, wieder die rationale Kontrolle zu gewinnen, und mit etwas Übung gelingt das auch. Allerdings wandern damit die gespeicherten Emotionen und die angesammelte Spannung einfach wieder ins Unterbewusstsein. Dadurch muss dieser Akt immer und immer wieder mit Anstrengung oder Gewalt erfolgen.

Das heißt, dass eine derart hergestellte Veränderung erstens anstrengend und unnatürlich ist und zweitens selten dauerhaft ist. Eventuell kriegen wir uns in bestimmten Situationen besser in den Griff, es eskaliert nicht mehr so, das ist super. Doch es wird nie die Qualität von Veränderung annehmen, in der das Problem schlicht nicht mehr existiert und eine Person eine neue Form von Natürlichkeit erlebt.

Über ein interessantes Beispiel hierfür habe ich kürzlich erfahren: In einer Studie wurden Ratten in zwei Käfige gesteckt. In einem konnte die Ratte in ihrem Laufrad laufen, wann immer sie wollte. In dem anderen Käfig musste die Ratte immer dann laufen, wenn die andere es tat.

Die Gesundheitsparameter für die Ratte, die freiwillig laufen konnte, verbesserten sich deutlich. Die Gesundheitsparameter der Ratte, die gezwungenermaßen laufen musste, verschlecherten sich.

Dies ist ein gutes Beispiel dafür, dass ein und die selbe Handlung gegensätzliche Auswirkungen haben, je nach dem, ob wir sie freiwillig tun oder nicht. Hierbei würde ich übrigens auch verinnerlichten Zwang zu nicht-freiwillig zählen, also Selbstkontrolle und die Erfüllung auferlegter Erwartungen anstatt intrinsiche Motivation.

Oftmals merken wir gar nicht mehr, was wir eigentlich wollen. Der Erziheungsstil in unserer Kultur fokussiert leider viel zu sehr auf Dressur anstatt der natürlichne Entwicklung des Kindes zu vertrauen, wenn man einfach nur seine authentischen Bedürfnisse erfüllt.

Was fühle ich eigentlich gerade? Was will ich? was brauche ich? Oftmals wissen wir diese Fragen nicht oder nur oberflächlich zu beantworten. Daher sage ich: Lasst sie uns kennenlernen. Lassst uns uns selbst kennenlernen und so sein lassen, wie wir sind. Lasst uns aufhören, aneinander und uns selbst herum zu zerren. Und lasst uns unser Nervensystem in seine natürliche Balance finden durch die Integration der abgespaltenen Anteile, anstatt ausschließlich auf das richtige Verhalten zu fokussieren.

Reflexion


Dosiere die Konfrontation mit diesen Fragen so, wie es für dich gut ist.

  • Fühlst du dich in deiner Therapie oder von einem anderen Menschen grundlos und vollständig akzeptiert? Hast du dich jemals so gefühlt, und sei es nur für einen Moment?

  • Kennst du die Sehnsucht nach der grundlosen und vollständigen Akzeptanz? Kannst du es zulassen die zu fühlen?

  • Wo fühlst du dich von deinen Behandeln oder Begleitern offen oder unterschwellig nicht angenommen? Wo wollen sie dich anders haben, als du bist oder sind selbst überfordert?

  • Versuchst du dich selbst über Kontrolle, Härte oder sogar Gewalt zu verändern? Oder mit Disziplin, die nicht wirklich von innen heraus motiviert ist?

  • Kennst du eine liebevolle Grundhaltung, kannst dir vergeben und bei Fehlern trotzdem optimistisch bleiben? Kennst du das, dass gerade durch Weichheit und liebevoller Akzeptanz etwas „heilt“ und dadurch integriert wird? Dass ein Problem dadurch einfach verschwindet, ohne dass du dich dafür noch anstrengen müsstest?

  • Was wirkt in deinem Leben „heilsam“? Das können Elemente aus deiner Behandlung oder Begleitung sein, aber auch Kleinigkeiten, die du machst oder die dir begegnen.